Mittwoch, 15. September 2010
Legal Kiffen mit Cannabis-Führerschein
THC-Mitentdecker Roger Pertwee hält die bisherige Drogenpolitik für gescheitert und fordert ein Umdenken zur Schadensbegrenzung
Auf dem Jahrestreffen der British Science Association in der Birminghamer Aston University forderte der Neuropharmakologe Roger Pertwee, dass der Verkauf von Cannabis erlaubt wird. Die Äußerung erregte in britischen Medien unter anderen deshalb großes Aufsehen, weil Pertwee sich seit 40 Jahren intensiv wissenschaftlich mit Cannabinoiden beschäftigt und es nur wenige Menschen auf der Welt gibt, deren Wissen über diese Stoffgruppe und ihre Wirkung auf den menschlichen Organismus mit dem seinigen vergleichbar ist.
Idealerweise, so der Professor, sollte Cannabis nicht zum Vergnügen konsumiert werden, aber in der Praxis habe sich in vielen Jahrzehnten erwiesen, dass das ein Verbot nicht funktioniert. Die bisherige Politik sei auf ganzer Linie gescheitert und schade mehr als sie nützt. Man müsse nun darauf achten, den Schaden zu begrenzen und neue Wege ausprobieren. Auch bei Alkohol sei man schließlich zu der Einsicht gekommen, dass eine regulierte Abgabe im Vergleich zu einem unkontrollierbaren Schwarzmarkt das kleinere Übel ist.
Mögliche negative Wirkungen von Cannabis auf anfällige Personen will Pertwee dadurch begrenzen, dass nicht nur für die Verkäufer eine Lizenz verlangt wird, sondern auch für die Konsumenten. Solch einen Cannabis-Führerschein soll es erst nach Vollendung des einundzwanzigsten Lebensjahres geben - und nur dann, wenn ein Mediziner den Antragsteller untersucht und keine besondere Prädisposition für Psychosen oder Schizophrenie festgestellt hat. Mary Brett, eine Sprecherin der Organisation Europe Against Drugs (EURAD), zeigte sich gegenüber der [extern] Daily Mail mit dieser Schutzmaßnahme nicht zufrieden und meinte, dass es "unmöglich" sei vorherzusagen, wie eine Person auf die Einnahme von Cannabis reagiert.
Für die Abgabe kann sich Pertwee Firmen vorstellen, die ihre Produktion einer öffentlichen Aufsicht unterwerfen und Marken etablieren, bei denen der Konsument sicher sein kann, dass sie keine unerwünschten Zusätze enthalten. Dass man den Cannabisverkauf Verbrechern überlasse, sei "verrückt". Gebe man die Abgabe stattdessen in die Hände legaler Geschäfte, dann könne man verhindern, dass Nachfrager beim Kauf mit wesentlich schädlicheren Betäubungsmitteln in Kontakt kommen, wie dies bisher häufig der Fall sei.
Zudem, so der Neuropharmakologe, schaffe das Verbot von Cannabis auch einen Anreiz zur Herstellung künstlicher Ersatzstoffe, die unbekannte Nebenwirkungen haben können, denen sich Konsumenten als ahnungslose Versuchskaninchen aussetzen. Ein Beispiel dafür ist JWH-081, das an die Cannabinoidrezeptoren andockt. Bis solch ein Stoff seinen Weg in die Betäubungsmittellisten findet, könnten Jahre vergehen und viele Gesundheitsschädigungen eintreten.
Er sei, so der Mitentdecker des Cannabis-Wirkstoffs THC, deshalb zur Auffassung gelangt, dass der staatliche Gesundheitsdienst NHS durch einen Umstieg auf eine regulierte Abgabe von Cannabis jedes Jahr Millionen einsparen könne. Dazu würde auch beitragen, dass das Cannabis seinem Vorschlag nach nicht in Form von Zigaretten abgegeben werden soll, sondern für lungenfreundliche Darreichungsmethoden - etwa als Nachfüllpackung zu Verdampfern, die den Ausstoß von Karzinogenen minimieren und bereits jetzt bei der medizinischen Behandlung zum Einsatz kommen.
Bei der britischen Regierung scheint Pertwees Appell allerdings nicht auf offene Ohren zu stoßen. Ein Sprecher des Innenministeriums sagte der BBC, dass man nicht glaube, dass eine Entkriminalisierung von Cannabis die richtige Herangehensweise an das Problem sei. 2008 hatte die Labour-Innenministerin Jacqui Smith Cannabis sogar von Verbotsklasse C in Verbotsklasse B hochgestuft, wo sich unter anderem Amphetamine finden. Der ungenehmigte Besitz von Betäubungsmitteln aus dieser Klasse wird mit bis zu fünf Jahren, der Handel mit bis zu 14 Jahren Gefängnis bestraft.
Die Neueinstufung erfolgte gegen den ausdrücklichen Rat des Advisory Council on the Misuse of Drugs (ACMD). Dessen Vorsitzender David Nutt wurde entlassen, nachdem er kritisierte, dass die britische Betäubungsmittelpolitik wissenschaftlichen Erkenntnissen zuwiderläuft, worauf hin fünf Mitglieder des Beirats ihre Mitarbeit quittierten. Nutt, ein Neuropharmakologieprofessor am Londoner Imperial College, sagte dem Guardian, dass Pertwees Vorstoß etwas Vernunft in die Debatte bringen könne. Weil Cannabis erwiesenermaßen weniger schädlich sei als Alkohol, sei die Kriminalisierung von Konsumenten nicht nur "unlogisch", sondern auch "ungerecht".
Quelle: http://www.heise.de
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen